Delacour Languren – Affen mit den weißen Hosen
Jedes Jahr verschwinden von unserem Erdball unzählige Tierarten. Die Gier nach vermeintlich traditioneller Medizin, Wildfleisch und die Zerstörung von natürlichem Lebensraum lassen die Rote Liste gefährdeter Tierarten immer weiter anschwellen. Im Endangered Primate Rescue Center im Cuc Phuong Nationalpark in Vietnam versucht der Dresdner Tierschützer Tilo Nadler mit seinem Team der erschreckenden Bilanz entgegenzuwirken und den Delacour Languren, bekannt als die Affen mit den weißen Hosen, ein neues Zuhause zu geben.
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Höchstpreise auf dem Schwarzmarkt
Es ist schon eine Ewigkeit her, dass Tilo Nadler seinen Wecker in die unterste Schublade gelegt hat. Keine 100 Meter von seinem Schlafzimmer entfernt, liefern sich pünktlich um 5.40 Uhr Weißwangen-Gibbons ein morgendliches Gesangsduell. Wie Sirenen bei einem Feuerwehreinsatz in den Straßen von Manhattan dringt das aufheulende Geschrei durch den dichten Regenwald und übertönt das morgendliche Konzert der Zikaden. Gegenseitig schaukeln sich die Affen in verschiedenen Tonlagen immer höher. Spätestens jetzt ist an ein Weiterschlafen nicht mehr zu denken. Zeit für Tilo Nadler den ersten Rundgang durch sein Rettungscenter für stark bedrohte Primaten zu machen. Der Tierschützer weiß, dass seine Tiere auf jeden asiatischen Schwarzmarkt Höchstpreise erzielen. Selbst der hohe Zaun, der die gesamte Anlage schützen soll, ist kein Garant dafür dreiste Wilddiebe abzuhalten.
Südlich von der Hauptstadt Hanoi, im Pflanzen- und Tierparadies Cuc-Phuong-Nationalpark, einem der letzten zusammenhängenden Dschungelgebiete Vietnams, kann man noch mit viel Glück in den Baumwipfeln die seltensten Affen der Welt bewundern – Delacour-Languren, bekannt als die „Affen mit den weißen Hosen“, Kleideraffen und Gibbons.

Tilo Nadler gründet Auffangstation
Das „Endangered Primate Rescue Center“ (EPRC) unter der Leitung von Tilo Nadler kümmert sich mit 20 Pflegern um die Letzten ihrer Art. Sie konfiszieren illegal gefangene Tiere, pflegen sie gesund und versuchen die Primaten wieder sukzessive an die Wildnis zu gewöhnen.
Vor 31 Jahren ist der heute 80-jährige Tierschützer erstmals nach Nordvietnam gekommen, um die Delacour-Languren in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Dabei wurde ihm schnell bewusst, wenn diese seltenen Tiere keine fremde Hilfe bekommen, werden sie in den nächsten Jahren aussterben. Keine zwei Jahre später kehrte Tilo Nadler seiner Heimat den Rücken, zog nach Vietnam und baute im Auftrag der „Zoologischen Gesellschaft Frankfurt“ (ZGF) mit einfachsten Mitteln die Auffang- und Rettungsstation für gefährdete Primaten im Cuc-Phuong-Nationalpark auf.
„Vietnam war Anfang der Neunziger für solche Vorhaben ein wahrer Albtraum.“, erinnert sich der gebürtige Dresdner. „Die Vietnamesen sahen Wildtiere nur als Nahrungsquelle und gewinnbringenden Exportschlager nach China an. Zudem musste ich anfangs jede Schraube aus Deutschland mitbringen, jetzt kann man allerdings in Hanoi oder Ho-Chi-Minh-Stadt fast alles bekommen.“ Schwer zu schaffen machte Tilo Nadler aber auch die Uneigenständigkeit seiner vietnamesischen Mitarbeiter, erzählt er weiter. „Ich musste alle aufgetragenen Arbeiten am besten fünf Mal kontrollieren, selbst das Aufdrehen von einem normalen Wasserhahn war hier keine Selbstverständlichkeit.“
Zwei beschlagnahmte Delacour-Languren (Trachypithecus delacouri) zogen im Januar 1993 als erste in Tilo Nadlers provisorisches Refugium ein. Die beiden dreijährigen Männchen bekamen im gleichen Jahr noch Gesellschaft von einem Hatinh-Languren. Seitdem hat sich das Primatencenter auf 3,5 Hektar vergrößert.

Unterkünfte am Cuc Phuong Nationalpark
Wenn du die Affen mit den weißen Hosen und das Projekt von Tilo Nadler im Endangered Primate Rescue Center besuchen möchtest, kannst du gleich in der Nähe in den Cuc Phuong Bungalows übernachten. Unser Tipp, wenn du etwas mehr Infrastruktur, wie Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, benötigst, dann buche in der naheliegenden Stadt Ninh Binh das Tam Coc Friendly Homestay.

Unterkünfte: Cuc Phuong Nationalpark
Du möchtest früh die Gibbons hören? Dann buche gleich am Park bei: Cuc Phuong Bungalows*
Oder doch eher in Ninh Binh mit Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten? Dann empfehlen wir das Tam Coc Friendly Homestay* mit Pool.
Hohe Strafen für Wilddiebe
Die Anzahl der konfiszierten und im „Endangered Primate Rescue Center“ geborenen Tiere ist auf 16 Arten mit insgesamt 150 Primaten angewachsen (2003 waren es noch 109 Tiere). In den geräumigen Käfigen tummeln sich Rot- und Grauschenklige Kleideraffen, Hatinh-, Cat Ba- und Delacour-Languren, Weißwangen-Gibbons und Loris, um nur einige zu nennen. Sobald Tilo Nadler mitbekommt, dass irgendwo in Vietnam ein vom Aussterben bedrohter Affe im Käfig eingesperrt ist oder von Wilddieben gefangen wurde, macht sich der „Retter der Affen“ mit den nötigen Papieren von der Forstgemeinde auf den Weg. Meist kommen die Tipps von den Rangern oder Waldarbeitern aus den angrenzenden Dörfern. Zunehmend melden sich aber auch westliche Touristen bei Tilo Nadler, die in den Städten einen eingesperrten Affen entdecken, der von Restaurantbesitzern gern als lebende Dekoration gehalten wird. Zusammen mit Parkrangern oder der Polizei beschlagnahmt er vor Ort die zum Teil schon verwahrlosten und unterernährten Tiere von den Besitzern. Freiwillig rücken die Tierhalter die Affen selten heraus, oft werden sie auch vorher gewarnt und verstecken die Tiere. Erst lange Gespräche, manchmal mit Androhung einer Geld- oder sogar Gefängnisstrafe, zeigen letztendlich ihre Wirkung.

Ranger sind schlecht ausgerüstet
Der Job ist auch nicht immer ungefährlich. „Vor ein paar Jahren hat mir ein Wilddieb ganz unvermutet ein Gewehr unter die Nase gehalten.“, was noch heute dem Tierschützer das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Da wurde mir erst richtig bewusst, dass wir bei solchen Unternehmen immer mit einem Bein im Grab stehen. Zudem sind die Ranger auf ihren Patrouillen durch den dichten Urwald teilweise schlechter ausgerüstet als die meisten Wilderer.“ Manchmal gelingt den Rangern dennoch einen Wilddieb auf frischer Tat zu ertappen. Bei den Befragungen der Täter kommt oft erst das ganze Ausmaß der Wilderei ans Tageslicht. Tilo Nadler ringt um Worte: „Wenn die Wilderer den Auftrag haben ein Jungtier lebend als Haustier zu fangen, müssen dafür gleich mehrere Tiere dran glauben.“ Die beschlagnahmten Tiere müssen mindestens eine sechswöchige Quarantänezeit durchlaufen. Hier werden die Neuankömmlinge auf eventuelle Krankheiten und innere Verletzungen gecheckt. Die Zeit der Isolierung soll den Affen auch Ruhe von den letzten Strapazen geben, bevor sie in einen Käfig mit ihren Artgenossen dürfen.

Unterstützung aus Deutschland
Tilo Nadler ist aber nicht allein mit seinem Enthusiasmus für die Affenwelt. Elke Schwierz, eine 32-jährige Berlinerin, lebt seit viereinhalb Jahren in dem abgelegenen Dorf Cuc Phuong und hat ihr „icke“ und „och“ beinah schon abgelegt. Vietnamesisch ist zu ihrer Zweitsprache geworden. Die ausgebildete Tierpflegerin hatte seit ihrer Kindheit eher ein Faible für Raubtiere. Dass sie dann doch, nach der für ein Jahr befristeten Stelle im Primatenrettungszentrum bei den Affen blieb, hängt, wie sie sagt, vom guten „Betriebsklima“ im Center zusammen. „Bei den Dorfbewohnern in Cuc Phuong wurde ich sofort integriert und zudem macht hier die Arbeit in diesem Team viel Spaß.“, erzählt Elke Schwierz. „Das Wichtigste allerdings ist die Gewissheit diese hochgradig vom Aussterben bedrohten Tiere vor dem Kochtopf zu schützen und ihnen ein sicheres Zuhause zu geben.“
Dabei sind die Arbeitsbedingungen nicht immer ganz einfach. Besonders zur Regenzeit, wenn es in Nordvietnam tagelang wie aus Eimern schüttet, wimmelt es hier überall von Blutegeln und Moskitos. In der Sommerzeit treiben zudem Taifune ihr Unwesen, dann verkriechen sich selbst die Affen bis in die hinterste Ecke von ihren Käfigen.

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Affen sind kleine Gourmets
Wird ein Junges geboren, kommt es vor, dass die Mutter verkümmerte Milchdrüsen hat und ihren Nachwuchs selbst nicht ausreichend ernähren kann. Dann schiebt Ersatzmutter Elke Schwierz einen 24-Stunden-Dienst. Alle zwei Stunden, Tag und Nacht, wärmt sie Milch in einer Nuckelflasche auf Körpertemperatur an und füttert damit den Nachwuchs. An Schlaf ist da tagelang kaum zu denken.

Das im Mai 2006 von Rangern konfiszierte Rotschenklige Kleideräffchen Emmi war zu diesem Zeitpunkt gerade fünf Monate alt. Seitdem wohnt das Affenbaby im Kindergarten des Centers, gleich neben der Quarantänestation. Das Nesthäkchen wird viermal täglich mit der Flasche gefüttert. Doch bevor es was zu trinken gibt, wird erst einmal gewogen. Quietschvergnügt sitzt Emmi in der Waagschale und futtert mit Genuss ein Stück Süßkartoffel. Das bekommt sie jedes Mal zur Belohnung, wenn sie artig sitzen bleibt. Die Freude ist aber auch auf der Seite der Pfleger. Emmi macht gute Fortschritte, nimmt jede Woche ein paar Gramm zu und strotzt vor Gesundheit. Langsam wird es nur Zeit, dass Emmi im Kindergarten mit den anderen Artgenossen zusammengelegt wird, bevor sie zu alt ist. Kleideraffen sind sehr einfühlsame und umgängliche Tiere, die sich zu schnell an den Menschen gewöhnen können und ihr Sozialverhalten darauf einstellen.

Aber alle Jungtiere, die im Center eingeliefert werden, überleben die Strapazen nicht. Im Oktober 2002 zum Beispiel erreichte ein beschlagnahmter Grauschenkliger Kleideraffe, gerade erst ein Jahr alt, nur noch die Quarantänestation. Der Affe war so massiv von seinem Besitzer misshandelt worden, dass er am gleichen Tag starb. Die Pflege und Nahrungsbeschaffung für die Languren gestaltet sich nicht ganz einfach. Spezielle Blätter vom Sternfrucht- und Flammenbaum, Hibiskussträucher und Aprikosenzweige stehen bei den Gourmets auf dem Speiseplan.
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Semi-Auswilderungsanlage als erster Test
Das komplizierte Magensystem der Languren verträgt kein Obst und rohes Gemüse. Daher werden die meisten Affen nach langer Gefangenschaft mit Verdauungsproblemen eingeliefert. Das macht auch die Haltung dieser Primaten in europäischen Zoos so gut wie unmöglich. Die Tierpfleger fahren mir ihren Motorbikes zweimal am Tag in den angrenzenden Dschungel und suchen nach dem seltenen Blattwerk. Was sie nicht im Wald finden, baut das Center auf einer eigenen Plantage an oder kauft von ansässigen Bauern das Futter und sichert damit ein geregeltes Einkommen für die Dorfbewohner. Dreimal täglich verteilen die Pfleger 200 Bündel in den Gehegen – zusammengestellt je nach Affenart und deren Vorlieben.


Fünf Delacour-Languren und zwei Weißwangen-Gibbons sind allerdings schon auf sich selbst angewiesen. In der Semi-Auswilderungsanlage, ein von dichtem Dschungel bewachsener Berg gleich hinter dem Primatencenter, finden die Affen im Überfluss frische Blätter in den Wipfeln der Urwaldriesen. Nur einmal am Tag lassen sich Tilo Nadlers Schützlinge am Zaun blicken. Mit einem Stück Süßkartoffel lockt er seine Schützlinge jeden Morgen um neun Uhr aus dem sicheren Versteck, um zu sehen, wie es ihnen gesundheitlich geht. Wichtig für die endgültige Auswilderung ist die Zusammensetzung der Gruppe. In der Semi-Auswilderungsanlage testet der Projektleiter vorab das Sozialverhalten der Languren untereinander. Er muss sich absolut sicher sein, dass sich die Tiere verstehen, um in der freien Wildbahn existieren und sich fortpflanzen zu können.

Die Zeit rennt davon
Die Zeit läuft gegen Tilo Nadler. „Solange Vietnamesen, die unser Affenschutzcenter besuchen, uns fragen, in welchem Restaurant sie diese Affen zu essen bekommen, wird sich das Bewusstsein der Bevölkerung auch nicht ändern.“ Seit 1994 konnte trotz aller Bemühungen im Primatencenter und dem weitreichenden Habitatsschutz die Population der „Affen mit den weißen Hosen“ in der Wildnis nicht steigen. Nach letzten Zählungen gibt es nur noch 250 bis 300 Delacour-Languren. Die endemisch in Vietnam vorkommenden Primaten leben zum Teil in isolierten Gruppen. Ihr Lebensraum, unzugängliche Karstlandschaften, verhindert Gruppenvermischungen und damit eine Fortpflanzung ohne Inzucht. Einziger Vorteil: Sie sind für Jäger und ihre Netze dadurch fast unerreichbar.
Tilo Nadler hofft, dass er in Zukunft weiterhin von den Gibbons geweckt wird. Sein Ziel ist es, dass die Rufe nur noch aus der freien Wildbahn kommen. Seinen Wecker, da ist er sich allerdings sicher, bleibt für immer ganz unten in der Schublade.

Bildband VIETNAM
Über 240 Bilder zeigen Vietnam vom hohen Gipfel des Phan Si Pan nahe der Grenze zu China bis zum entlegensten Zipfel am Golf von Thailand. Spezialkapitel berichten über die vietnamesische Küche, die amphibische Traumwelt des Mekong-Deltas, die alte Kaiserstadt Hue, das Hafenstädtchen Hoi An, die Ikone Ho Chi Minh und die traumhafte Ha-Long-Bucht.

Bildband Vietnam*
Für diesen Bildband sind wir von der Bergwelt Sa Pa über Hanoi bis ins Mekong-Delta gereist.
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